Was mir mein Glaube bedeutet

Haben Sie schon einmal ein Erlebnis gehabt, das Sie völlig aus der Bahn geworfen hat, sodass die Jahre davor und die Jahre danach nicht mehr aufeinander passen? Wahrscheinlich nicht. Ich hatte solch ein Erlebnis auch nicht. Meine Beziehung zu Christus hat sich langsam entwickelt und immer mehr vertieft. Das ist die normale Art, wie einer Christ wird. Es geht Schritt für Schritt. Es begann, als meine Eltern mir den Glauben vorlebten. Als Jugendlicher lernte ich,das Erbe der Eltern aus eigenem Entschluss zu erwerben. Als Erwachsener bemühe ich mich, immer wieder darum zu ringen und immer fester darin zu stehen. Heute kann ich mir mein Leben ohne den christlichen Glauben nicht mehr vorstellen. Ich ermutige andere sogar, auf dieser Wanderschaft nicht zu ermüden. - Kein Umsturz also wie z. B. beim Apostel Paulus, sondern eine fast unmerkliche Entwicklung. Aber mit Paulus habe ich erkannt: Christus ist das Ziel und mein innerer Schatz.

Ein Erlebnis, das bei mir bleibende Eindrücke hinterlassen hat: Es war ein halbes Jahr vor ihrer Goldenen Hochzeit, als sie die schlimme Diagnose erfuhr: Krebs. Und dann ging es schrittweise mit ihr bergab. Sie und ihr Mann, beide wussten: Wenn sie ganz großes Glück hat, erreicht sie noch den Tag der Goldenen Hochzeit. Und beide gingen gefasst und in der Kraft des Glaubens ihren schweren weg: "Der Herrgott wird schon wissen, was er macht." Der Termin rückte näher, sie zerfiel zusehend. Kurzerhand entschloss sich die Familie, die Goldhochzeit um drei Tage vorzuverlegen: Sie sollte das noch richtig miterleben. Im Rollstuhl stand sie in der Kirche, ebenso tapfer wie der Ehemann an ihrer Seite. Sie dankten Gott für das Geschenk der gemeinsamen fünfzig Jahre. Auch bei der anschließenden großen Kaffeetafel war sie dabei, kraftlos, aber hellwach, hielt ihre Enkelkinder im Arm und war noch einmal richtig glücklich. Am Ende der Feier flüsterte sie mir ins Ohr: " Jetzt steht der Himmel offen." - Drei Tage später läuteten nicht die Hochzeitsglocken, die Totenglocke läutete. Und die Gestaltung der Feier hatte sie selber geplant: "Ich will keine Trauerlieder, schließlich bin ich doch dann im Himmel." Das Requiem war ein festlicher Gottesdienst - der ihrem zurückgebliebenem Gatten, ihren Kindern und Enkeln Kraft schenkte weiterzuleben.
Diese Frau und ihr gläubiger Ehemann, die gemeinsam dieses Schicksal durchgetragen haben, sie hatten nie eine Kanzel bestiegen um der Gemeinde zu verkünden, dass ihr Leben in Gottes Hand geborgen ist. Und doch haben die beiden begriffen, was so manchem verschlossen bleibt: Unser Leben ist in Gottes guten Händen. Er ist an unserer Seite in guten wie in bösen Tagen. Und wenn ich sterbe, falle ich in seine guten Hände und bin in ihm geborgen. Wahrhaftig, im Miterleben dieser Situation habe ich gelernt. was mir so manche theologische Vorlesung nicht vermittelt hat - und meine Lehrmeister waren "einfache Leute", die sich in ihrem Leben Gott vertraut gemacht haben: "Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil Du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Kleinen aber offenbart hast" (Mt. 11, 25).

Dazu noch einen Ratschlag aus dem 5. Buch Mose: "Diese meine Worte sollt ihr auf euer Herz und auf eure Seele schreiben. Ihr sollt sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen Schmuck auf eurer Stirn werde" (Dtn 11,18) - Fromme Juden machen das im wörtlichen Sinn. Jeden Tag binden sie sich zum Gebet Riemen an den Arm und auf die Stirn mit Kästchen, in denen auf winzigen Schriftrollen Abschnitte aus der Thora, der Bibel geschrieben sind, darunter das ihnen so wichtige "Höre, Israel! Jahwe, unser Gott ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft" (Dtn 6,4).
Ganz sinnlich verbinden sie sich so jeden Tag mit Gott. Das, was sie äußerlich tun, kann sich damit leichter verinnerlichen, quasi ins Herz setzen.

Und genau darum geht es: dass uns Menschen Gottes Wort ins Herz geht; dass wir uns Gottes Zuneigung und seine Weisungen zu Herzen nehmen, verinnerlichen, dass sie uns in Fleisch und Blut gehen. - Wir Christen kennen den jüdischen Brauch der Gebetsriemen nicht, aber dass äußere Formen und Rituale hilfreich sind, um etwas zu verinnerlichen, ist ein alter pädagogischer Grundsatz. Es braucht Riten und Rituale, um den Glauben lebendig zu halten; es braucht auch Disziplin, um die Gottesbeziehung zu pflegen. Ob das der Rosenkranz ist, ein meditativer Spaziergang mit einem biblischen Wort, der abendliche Tagesrückblick, das morgendliche Kreuzzeichen oder die tägliche Schriftlesung - Gottes Liebe, Gottes Wort will bei uns ankommen, will sich tief in unser Herz senken und unser Leben begleiten. Ich darf auf meine eigene Weise dieses Geschenk annehmen und damit umgehen. Aber ich soll es mir wirklich zu Herzen nehmen.
pfarrer
klaus-dieter geuer


 

 

 

 

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